Volltextsuche


Kommentar

Zurück zum Diskussisonsforum


Beitrag vom 20.10.2006
Betreff: "50 einfache Dinge "
Von: Kurt Nikolaus
E-mail: Kurt_Nikolaus@web.de


Sehr geehrter Herr Flassbeck,

inachdem ich nun Ihr Büchlein „50 einfache Dinge …“ mit großem Vergnügen zu Ende gelesen habe, wollte ich noch einige Kommentare dazu abgeben – wenn auch nicht inhaltlicher Art, da ich so gut wie völlig mit Ihnen übereinstimme. Lediglich die Darstellung liesse sich hie und da noch geringfügig verbessern.

Am besten hat mir das letzte Kapitel gefallen, das vom „über die Verhältnisse leben“. Dieses ist sehr luzide und allgemeinverständlich geschrieben; und: Es ist ja schon fast tragikomisch zu nennen, dass man der „Elite“ von Politik und Ökonomie erst mal das kleine Einmaleins erklären muss!

Implizit sind also alle diejenigen, die behaupten, *jeder* könne / dürfe nur so viel ausgeben wie er einnimmt, für die Abschaffung des Zinses; diese antikapitalistische Forderung wird ja von den Anfängen bis heute ständig neu ausgegraben ... Wäre das nicht eine nette reductio ad absurdum? Und ein schönes Exempel dafür, wie uns die „Modernisierung“ stante pede zurück ins Mittelalter führt!

Da fragt man sich doch, ob die „Elite“ dreist im Sinne von Arne Heise ist oder doch einfach bloß dumm? Ich als unverbesserlicher Empiriker würde ja allemal sagen: teils, teils!

Noch ein Hinweis zur Darstellung, anknüpfend an die Kapitel 46 und 47: Auf den ersten Blick denkt man ja (und täuscht sich dabei, wie so oft auf den ersten Blick), dass die New Economy einerseits und die Hausväterchen-Ökonomie andererseits absolute Gegensätze wären; wenn man genauer hinschaut, stellt sich jedoch heraus, dass sie nur zwei Seiten der gleichen Medaille sind. Das lässt sich wunderbar anhand des beliebten Spiels „Monopoly“ aufzeigen, und diese Analogie möchte ich Ihnen hiermit vorschlagen:

Wir haben dabei sowohl den „Spar-Fonds“ (endliche u. konstante Menge von Spielgeld) als auch die im Rahmen des Spiels nicht limitierte Umverteilung als Ziel. Wenn die anfängliche Gleichverteilung des Startkapitals zu einer monopolistischen Kapitalkonzentration in einer Hand geführt hat, ist die Ressourcenallokation marktwirtschaftlich optimiert und das Spiel vorbei – wobei es völlig egal ist, ob dieses Endergebnis auf Glück oder auf Leistung beruht: rien ne va plus!

Man wagt sich kaum vorzustellen, dass es wirklich und wahrhaftig Menschen gibt, die glauben, die reale Wirtschaft würde, könnte oder sollte so funktionieren wie dieses Spiel. Dann müssten sie aber konsequent sein und folgende Agenda 2020 anpeilen: Am 31.12.2019 stellen wir sämtliche Wirtschaftstätigkeit ein, ziehen Bilanz, und wer bis dahin das meiste Geld verdient hat, wird feierlich zum Sieger erklärt. Am 01.01.2020 wird das ganze Geld eingesammelt, gleichmäßig auf alle Köpfe verteilt, und das Spiel beginnt von vorne.

Na toll! So weit mein Kommentar zu Ihrem Text, zum Schluss noch eine Anmerkung zu dem, was Sie weggelassen haben:

Das Say’sche „Theorem“ kommt in Ihrem Büchlein nicht vor ¬– von der Sache her zu recht, aber es ist nun mal ein Dreh- und Angelpunkt der Mainstream-Ökonomie. Insofern muss, wer diese Mainstream-Ökonomie aus den Angeln heben will, auch das Say’sche „Theorem“ einer Kritik unterziehen, was weder empirisch noch theoretisch sonderlich schwer fallen dürfte. Insofern ist dies m.E. eine Lücke in Ihren Ausführungen.

Im Vorwort schreiben Sie, dass Sie für die systematische Darstellung einer alternativen Ökonomie keine Zeit haben. Das ist einerseits schade, aber andererseits wäre es vielleicht doch nur die sprichwörtlichen Perlen vor die Säue geworfen: Man hat nun mal nicht den Eindruck, dass Logik irgendwo auf fruchtbaren Boden fallen würde … Daher ist vielleicht weniger die Aufklärung als vielmehr die Erklärung von Irrtümern angesagt, und dazu empfehle ich Ihnen ein Buch, das in Ökonomen-Kreisen vielleicht nicht so bekannt ist:

Bereits 1989 hat Dietrich Dörner, den man inzwischen wohl ohne Übertreibung als den international renommiertesten deutschen Psychologen bezeichnen kann, ein Buch mit dem schönen Titel „Die Logik des Misslingens“ geschrieben, das allen Managern, Politikern und Politikberatern nur ans Herz zu legen wäre. In Kürze kommt er dabei zu dem experimentell belegten Ergebnis: Die reale Welt ist komplex, multikausal und nonlinear; unser Denkapparat reduziert sie aber auf einfache, monokausale, lineare Zusammenhänge. Für die letzten paar Millionen Jahre war diese Denkweise ja auch völlig ausreichend, aber inzwischen sind wir durch die von uns selber geschaffene Welt offenbar geistig überfordert.

So, und nun noch eine letzte Anregung: Aus Ihrer Feder würde ich ja liebend gerne mal eine metatheoretische Studie zu der Frage lesen, was für eine Art von Wissenschaft ist die Ökonomie eigentlich? Die Mainstream-Ökonomie erinnert mich nämlich fatal an die mittelalterliche Scholastik, welche sich bekanntlich intensiv mit dem Problem beschäftigt hat, wie viele Engel auf einer Nadelspitze tanzen können … Angesichts der theologischen Wurzeln ist das ja auch nicht weiter verwunderlich, aber dass es auch heute noch in mathematisierter Form weiterlebt, verdient stärkere Beachtung.

Und da Sie ja auch Ihren Spaß haben sollen, empfehle ich Ihnen zur Unterhaltung noch folgendes Buch:

Lehner / Meran / Möller, De statu corruptionis. Entscheidungslogische Einübungen in die höhere Amoralität, Konstanz 1980

Obwohl schon etwas älter, wird hierin im Rahmen eines transzendenten rational-choice-Modells überzeugend gezeugt, wie man die sündige Lebensqualität im Diesseits (linear) optimiert bei gleichzeitiger Minimierung der Strafe im Jenseits.

In dieser Reihe der „Litzelstetter Libellen“ gibt es übrigens noch viele andere exzellente Wissenschaftssatiren.

Ich hoffe, das macht Ihnen so viel Vergnügen wie mir Ihr Büchlein!

Mit freundlichen Grüßen,

Kurt Nikolaus,
Berlin