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Kommentar

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Beitrag vom 19.04.2008
Betreff: "Das Wunder von Bdro"
Von: Jürgen Berger


Sehr geehrter Herr Flassbeck,

ich habe soeben in der Financial Times Deutschland die Leser-Kommentare zu Ihrem Beitrag "Das Wunder von Bdro" gelesen. Einer der Leser schreibt:

"So sehr es mich freut, wenn auch immer wieder völlig verwundert, wenn Ökonomen für höhere Löhne plädieren, so halte ich doch Ihr Argument für nicht stichhaltig.

Ein Grund ist mir die immer schon suspekte Grundhaltung, stets nur in der 1. Ableitung zu denken. Nehmen wir nun nicht an, alle Lohnstückkosten wären 1999 100 gewesen, sondern nur die deutschen, während die portugiesischen 80 waren. (Ich muß das annehmen, Sie haben diese Zahl bestimmt in Ihrem Archiv, aber da Sie andersherum argumentieren, habe ich Grund zu der Annahme, näher dran zu sein.)
In diesem Fall wären die deutschen jetzt bei 102 und die portugiesischen bei 100,8 und man bräuchte noch ein Jahr Zurückhaltung in Deutschland, damit die Portugiesen auf das deutsche Niveau aufschließen könnten."

So viel mir bekannt, trifft dieses Argument nicht zu, da auch im langjährigen Vergleich (über mehrere Jahrzehnte) die Lohnstückkosten in Landeswährung schwächer gestiegen sind als in den übrigen Industrieländern (mit Ausnahme der Phase kurz nach der Wiedervereinigung wegen der Löhne in Ostdeutschland aufgrund der niedrigeren Produktivität in den Neuen Bundesländern. Hier spielte jedoch auch das Preisniveau für die private Lebenshaltung eine Rolle. Dieses befand sich oftmals, von Mieten ausgenommen, nahe dem West-Niveau). Sofern es in den vergangenen Jahrzehnten überhaupt mal ein Wettbewerbsproblem wegen zu hoher Lohnstückkosten gab, resultierte dies nach meinem Kenntnisstand aus dem gestiegenen DM- Wechselkurs.

Ein weiterer Leser schreibt:

"Obwohl die Niederlande bei "120" sind fahren sie im Außenhandel wie wir Deutschen Rekordüberschüsse ein.Vielleicht liegt es auch einfach nur daran, dass holländische und deutsche Unternehmen flexibler auf Herausforderungen reagieren als die Unternehmen der anderen Vergleichsländer."

Bei den Niederlanden war es nach meinem Kenntnisstand so, daß diese in den 80er Jahren eine Niedriglohnpolitik betrieben (die allerdings durch höhere Staatsausgaben und niedrige Zinsen durch den niederländischen Staat und die niederländ. Notenbank flankiert wurden). Ein kleines Land wie die Niederlande konnte sich eine solche Niedriglohnpolitik (die wegen des EWS und der engen Anlehnung des niederländ. Gulden an die DM nicht auf den Wechselkurs durchschlug) erlauben, da sich diese Politik nicht sehr stark auf die übrigen Länder durchschlug. Praktiziert hingegen eine große Volkswirtschaft wie Deutschland eine Niedriglohnpolitik, so führt dies bei den übrigen Ländern zu enormen Wettbewerbsproblemen, die nach einer Anpassungskrise zu Lasten der Beschäftigten in Europa "gelöst" werden.

Das Argument des Lesers bzgl. der höheren Flexibilität oder auch innovativer Produkte (z.B. deutscher Maschinenbau) mag zutreffend sein, ist jedoch ein weiterer Grund dafür, daß die deutsche Niedriglohnpolitik unnötig und darüber hinaus schädlich ist. Möglicherweise möchten Sie in einem weiteren Beitrag auf die von den beiden Lesern der ftd genannten Argumente eingehen?

Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Berger