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Kommentar

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Beitrag vom 14.05.2012
Betreff: Kapitalismusmythen":
Von: Martin Andresen


Die Mythen des Kapitalismus

1. Mythos
Der erste grundlegende Mythos des Kapitalismus lautet: Jeder kann es schaffen - vom Tellerwäscher zum Millionär! In die Sprache der Ökonomen übersetzt, hiesse dies: Vom kleinen Working-Poor, der von seiner Hände Arbeit nicht leben kann, zum grossen Super-Hartz-VI-Empänger, dem, obschon er nicht arbeitet, Transferleistungen im Übermass zufließen. Dieser Mythos verwandelt die Ökonomie in eine Moraltheologie mit dem Geld als eigentlichem Kern ökonomischer Tätigkeiten, er wendet den Blick vom Nutzen ab und von der Gegenwart der laufenden Periode in die Vergangenheit des akkumulierten Kapitals und teilt

2.Mythos
die Menschen in zwei Kategorien. Die moralisch sauberen Transferleistungsempfänger des Marktes - sprich die Kapitalrentner und die moralisch verwerflichen Transferleistungsempfänger des Sozialstaates. Darum die angeblich zur Entlastung der jungen Generation vollzogene Verwandlung der staatlichen Umlagerentner in private Kleinkapitalrentner. Als sei ein Legitimationswechsel die Lösung und nicht Produktivität. Da in einer freien Wirtschaft freie Subjekte zum gegenseitigem Nutzen Verträge abschliessen, kennt diese Ökonomie keine Transferleistungen des Marktes. Auch wenn offensichtlich "arbeitsloses Einkommen" fliesst, negiert sie diesen Umstand, weil sie

3. Mythos
akkumuliertes Geld stets als moralisch korrekt erworbene Ansprüche Einzelner an die Gesellschaft interpretiert. Geld ist demnach in erster Linie ein privater Geldspeicher und nicht etwa ein öffentliches Mittel, das ökonomische Prozesse ermöglichen soll. Weil aber das akkumulierte Geld aus vergangenen Perioden wirtschaftlichen Handelns stammt, gerät die laufende Periode, in der die tatsächlichen Produkte und Dienstleistungen zum Nutzen der Mitglieder einer Gesellschaft erzeugt werden aus dem Blick und

4. Mythos
die Geldwertstabilität wird zum obersten Ziel allen wirtschaftlichen Handelns. Dem Geldbesitzer kann sein Geldvermögen unter den Händen zerrinnen, indem es ihm einerseits direkt durch Steuern entzogen wird oder indirekt durch Inflation entwertet wird. Beide Maßnahmen bestrafen den moralisch korrekt Handelnden. Gerät nun die Ökonomie einer Gesellschaft in eine Krise, weil das Geld nicht in den Taschen derer ist, die es benötigen, darf es folglich weder umverteilt, noch zusätzlich neu geschöpft werden sondern es muss

5. Mythos
durch Sparen ein moralisch sauberer Ausweg genommen werden. Der zweite erlaubte Weg, nämlich die Umverteilung über Staatsschulden zu finanzieren gilt nur temporär, weil dieser angeblich in eine Insolvenzverschleppung führt, die nur künftige Generationen belastet. Das allgemeines Sparen in einer auf Gewinn orientierten Ökonomie zu einer Verringerung wirtschaftlicher Aktivitäten in der laufenden Periode und damit in eine Abwärtsspirale führt, ist dieser Ökonomie herzlich gleichgültig. Ihr liegt die Wertbeständigkeit wirtschaftlicher Ansprüche aus der Vergangenheit mehr am Herzen als das Funktionieren der gegenwärtigen Ökonomie und Gesellschaft.

So ungefähr funktioniert das in sich geschlossene, logische Wahnsystem der heutigen Politik und ihrer Ökonomen.

Aber - wir können nicht alle gleichzeitig Millionäre sein und unseren Reichtum geniessen. Wer pflegt die Kranken? Wer pflügt den Acker? Wer reinigt die Kanalisation? Eine Gesellschaft des Müssigganges wird es nie geben.

Und warum ist das Leben eines Armen, eines Kranken oder eines Schwachen moralisch verwerflicher als das eines Reichen? Menschen, die über 80 Jahre alt werden, sind vermutlich die längste Zeit ihres Lebens Transferleistungsempänger. Man mag es drehen und wenden, wie man will.

Weiterhin besitzt Geld keinen inhärenten Wert, es ist immer nur Gegenwert eines zu erzeugenden Nutzwertes, der wieder infolge des Konsums durch einen Menschen in der Gegenwart entsteht. Wenn Geld also nur im Zusammenspiel mit einer funktionsfähigen Wirtschaft Wert besitzt, warum ist dann das private, ersparte Geld im Fokus des ökonomischen Interesses?

Wenn aber Geld Geld verdient und die Ökonomie die Ansprüche breiter Gesellschaftsgruppen nicht mehr befriedigt, Geld also die Fähigkeit verliert gesellschaftlichen Nutzen zu erzeugen, warum darf man es dann nicht umverteilen? Es geht hier um Effizienz!

Wer Steuersenkungen fordert, plädiert implizit für Staatsverschuldung oder für die Abschaffung des Staates. Wer Letzteres nicht will, muss für Steuererhöhungen stimmen. Sparen hilft hier nicht, weil es die Menge der wirtschaftlichen Aktivitäten automatisch verringert und tendenziell alles zum Stillstand bringt.