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Kommentar

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Betrag vom 15.03.2000
Betreff: Zu Filc' Kritik an: "Flexiblere oder festere Wechselkurse"
von: Reinhard Pohl
E-mail: reinhard.pohl@t-online.de


Etliches von dem, was unser Freund Wolfgang Filc schreibt, ist nicht ganz klar. Was hätte wohl Wolfgang Stützel von Filcens Kritik an Deinem Paper gehalten. Hätte er den Text von Filc so wie ich interpretiert, hätte er gefragt: Sollte der nominale - und damit auch der reale - Wechselkurs notfalls geändert werden, um internationale Wachstumsdifferenzen (!) und unerwünschte (!) Kapitalbewegungen auszugleichen? Das kann man kaum für vernünftig halten. Der (reale) Wechselkurs darf doch nicht nur deshalb geändert werden, weil zahllose gewichtige Untersuchungen ergeben haben, daß die Wechselkurse von solchen Vorgängen wie Wachstumsdifferenzen und Kapitalbewegungen beeinflußt werden! Wo steht eigentlich geschrieben, daß all diese - und andere denkbare - Einflüsse, soweit von uns für unerwünscht gehalten, durch Änderungen der Wechselkurse korrigiert werden sollten?

Wer käme heute, so würde ich hinzufügen, auf die Idee, eine Berliner Bärenmark einzuführen, die gegenüber einem wieder zu etablierenden bayerischen Gulden abgewertet werden müßte, damit das derzeitige Wachstumsgefälle zwischen Berlin und Bayern eingeebnet wird?

Vergessen wir für einen Augenblick mal alle gelehrten Untersuchungen über die Determinanten der Wechselkursschwankungen und stellen uns ganz dumm: Was erwartet ein Konsument, der Geldvermögen hat und neues bilden will, von einem Geld, das als wertstabil und solide gilt? Er erwartet, daß er mit seinem Geldvermögen (einschließlich der später daraus fließenden Rente) auch noch nach fünf oder mehr Jahren grosso modo die selbe Gütermenge kaufen kann wie heute, und zwar in jedem Fall in seinem Heimatland, aber möglichst auch in anderen Ländern, in die er vielleicht später reisen oder auswandern will. Soweit er sein Geldvermögen in fremder Währung angelegt hat, soll es in seinem Heimatland dereinst, wenn er es in heimische Währung zurücktauscht, ungefähr die selbe Kaufkraft wie heute haben. Unser Konsument will also ein einigermaßen stabiles heimisches Preisniveau und einen einigermaßen stabilen realen Wechselkurs der Währung seines Heimatlandes.

Und wie steht es mit den Unternehmen? Warum sollten sie, wie auch Du fragst, sich besonders anstrengen, wenn sie immer wieder durch Abwertungen um einen Großteil der Früchte ihrer Bemühungen um mehr Wachstum (zusätzliche Umsätze) und mehr Gewinne gebracht werden?

Kurzum: Es gibt nur ein einziges triftiges (Maastricht-) Kriterium dafür, daß ein Land dazu "reif" ist, einigermaßen spannungsfrei ein Mitglied eines Systems absolut fester nominaler Wechselkurs oder einer Währungsunion zu werden und zu bleiben: die Bereitschaft und die Fähigkeit, auf mittlere Sicht ungefähr dieselben Raten der gesamtwirtschaftlichen (nicht: der außenwirtschaftlich relevanten) Lohnstückkostensteigerungen durchzusetzen wie im Durchschnitt die Partnerländer. Denn: Spannungen ergäben sich, wenn unser Land sich durch zu starke Lohnstückkostensteigerungen vermehrt Arbeitslosigkeit einhandelte (und Transfers von den Partnern forderte) oder durch zu niedrige oder gar sinkende Lohnstückkostensteigerungen die Partnerländer in Schwierigkeiten brächte und zu Retorsionsmaßnahmen provozierte.

Filc wendet ein, "Steigerungraten der Lohnstückkosten sind nicht mit allgemeinen Preissteigerungen gleichzusetzen". Dieser Einwand trifft bei kurzer Sicht durchaus zu. Er zieht aber nicht bei längerfristiger Betrachtung - und nur auf die längere Sicht kommt es an, wenn wir von einem wertstabilen Geld sprechen. Auf längere Sicht, etwa über einen Konjunkturzyklus hinweg, hat sich immer wieder gezeigt, daß es zwischen Inflationsraten und Lohnstückkostensteigerungen keine wesentlichen Abweichungen gibt. Es ist also berechtigt zu sagen, daß eine mittelfristige Konstanz des realen Wechselkurses sowohl bei einem Gleichklang der Inflationsraten als auch bei einem Gleichklang der Lohnstückkostensteigerungen gewahrt ist. (Wohlgemerkt: Dies gilt mittel- und langfristig. Auf kürzere Sicht und auch während eines Zyklus´ dürfen gewisse Schwankungen des realen Wechselkurses auch bei absolut festen nominalen Wechselkursen auftreten. Mehr noch: Solche Schwankungen haben sogar eine ökonomisch wichtige Funktion)

Natürlich gibt es Mechanismen, die internationalen Wachstums- und Produktivitätsdifferenzen und auch überschießenden Kapitalbewegungen entgegenwirken. Diese Mechanismen sind bei konstanten Wechselkursen der internationale Wettbewerb, der Technologie- und Technik-Transfer, die Güterpreise und, nicht zuletzt, die Zinsen. Sicherlich gibt es ”Notfälle”, in denen der nominale Wechselkurs geändert werden sollte. Dieser Notfall sind aber nicht Wachstums- und Produktivitätsdifferenzen oder überschießende Kapitalbewegungen. Er liegt, was auch Stützel einräumt, nur dann vor, wenn, aus welchen Gründen auch immer, ein Gefälle zwischen den Lohnstückkosten entstanden ist, das sich weder durch Nominallohnsenkungen noch durch nicht auf Kosten der Beschäftigung gehende Produktivätsfortschritte ausreichend schnell abbauen läßt.